Bollnow im Nationalsozialismus

Die Bollnow-Gesellschaft hat im Jahr 2018 den Erfurter Historiker Dr. Paul Kahl beauftragt, das berufliche Wirken Otto Friedrich Bollnows in der Zeit des Nationalsozialismus unabhängig zu untersuchen und damit eine in der Bollnow-Gesellschaft schon länger geführte Debatte zu begleiten.

Die jüngst vorgebrachte Behauptung von Wolfgang Eilenberger (Zeit der Zauberer 2018), Bollnow sei „in den Jahren nach 1933 zu einem der führenden Nazi-Philosophen [aufgestiegen]“, hat keine Quellengrundlage und ist offensichtlich falsch. Dass Bollnow aber schon 1933 dem Kampfbund für deutsche Kultur beitrat und 1940, d.h. nach der Aufhebung der Mitgliedersperre, auch der NSDAP, bedarf, obgleich schon seit längerem bekannt, der eingehenden und unabhängigen Kontextualisierung. Das gleiche gilt für die noch dringlichere Frage einer möglichen „inneren Verwandtschaft“ der Lebens- und Existenzphilosophie mit dem Nationalsozialismus.

Die Bollnow-Gesellschaft stellt sich als eine der ersten Personengesellschaften überhaupt dieser Verantwortung, und zwar in Zusammenarbeit mit einem unabhängigen Historiker. Kahls Gutachten soll nicht zu kritikloser Zustimmung anregen, sondern zu weiterer kritischer Auseinandersetzung, wünschenswerterweise im Rahmen künftiger universitärer Forschung. Deshalb wird es hier in vollem Wortlaut zur Verfügung gestellt.

Bollnow kennenlernen
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Bollnow im Nationalsozialismus. Professur in Gießen

Nach Lehr­stuhl­ver­tretungen lehrt Bollnow von 1939 bis zu seiner Einberufung 1943 als ordentlicher Professor für Psychologie und Pädagogik an der Universität Gießen. Bei der Berufung spielt auch die naturwissenschaftliche Qualifikation eine Rolle und seine Fähigkeit zwischen Natur- und Geisteswissenschaften zu vermitteln.

1940 tritt Bollnow in die NSDAP ein. Bollnow entfaltet in der gesamten NS-Zeit eine reichhaltige Publikationstätigkeit. Er veröffentlicht mehrere Monografien über philosophische Fragestellungen, so seine Einführung in Diltheys Philosophie (1936) und Das Wesen der Stimmungen (1941/43), außerdem Aufsätze in angesehenen Zeitschriften und Tageszeitungen.